Weihnachten 2020

Ein Beitrag von Prof. Michael von Brück,
Rektor Domicilium Akademie

Es ist Nacht. Die Konjunktion der zwei großen Planeten Jupiter und Saturn beeindruckt uns. Sie ist, was sie ist, durch die Perspektive des Menschen – aus anderer Perspektive, d,h. von einem anderen Ort im Sonnensystem aus gesehen, sind die beiden Planeten nicht in optischer Konjunktion und einander nicht näher als sonst. Die Perspektive lässt uns also die Welt so sehen, wie wir sie sehen. Sie ist subjektiv, also abhängig vom Betrachter. Was uns „widerfährt“ und wie wir dies interpretieren, hängt ab von unserem Standort – in Raum und Zeit, und vor allem auch in der psychischen Konstellation.


Viele von uns sind frustriert, einige ängstlich, einige pfeifen auf alles, einige warten geduldig auf das, was da kommt oder nicht kommt. Spirituelle Praxis bedeutet, diesen Standort von außen anzuschauen, gleichsam aus der Vogelperspektive uns selbst beobachten, und das mit einem gelassenen Lächeln in den Mundwinkeln. Leben und Tod sind ineinander verwoben – wenn uns das in den letzten Monaten deutlich geworden ist, und wenn wir diese Erkenntnis tief bedenken, zulassen und durchlassen, haben wir viel gelernt.

Wir sehen auch, dass alles, aber auch alles, in der Hand der Menschen missbraucht werden kann – psychisch, sozial, politisch. Das war zur Zeit des Kaisers Augustus nicht anders, und die Geschichte Jesu von Nazareth spiegelt genau diese menschliche Tragik in allen Facetten, die auch wir kennen. Das neugeborene Kind ist Inbegriff des Neuanfangs, aber es muss ernährt, gepflegt und gehütet werden. Das ist die Aufgabe jedes Einzelnen und jeder Generation in je spezifischer Weise. Das glorreiche Licht der Weihnacht bohrt sich in die kümmerlichsten Verhältnisse menschlicher Armut und Torheit hinein; die Kreuzigung allerdings ist der entsetzliche Höhepunkt eines durch Machtgier, Dummheit und Egozentrik pervertierten Strebens.

Aber ganz in der Tiefe, in der Stille der Nacht, wenn alle Welt den Atem anhält, wenn auch in uns die Wellenbewegungen der Emotionen und des Grübelns zur Ruhe gekommen sind, öffnet sich die Erfahrung zur Wahrnehmung in einer anderen Dimension. Das kann mit der Verkündigung des Engels umschrieben werden: „Fürchtet euch nicht.“ Denn der Schmerz und das Leiden sind nicht das letzte Wort. Die Welt ist tiefer. Wie immer wir diese Ahnung deuten - für manche eine Gewissheit, für andere ein Absurdität – sie ist in der Welt und strahlt ihr Licht mitten in der Nacht. Das nennt Meister Eckart die „Gottesgeburt“, die unentwegt in unserem Geist stattfinden kann. Um Mitternacht beginnt der neue Tag.