Achtsames Leben - Liebe als Lebenselixier

Liebe als Lebenselixier

Ist die Liebe nicht eine ungeheure Kraftquelle? Welch eine Aura von Innigkeit umgibt doch verliebte Paare? Und welche enormen Kräfte wachsen uns in der Liebe zu? Dabei ist die Liebe keineswegs nur romantisch. Denken wir an Eltern: Welche Entbehrungen nehmen sie doch oft in Kauf, um ihre Kinder aufzuziehen. Und nehmen nicht auch Kinder unendlich viel aus Liebe zu den Eltern auf sich? Selbst schwierigste Situationen und Phasen führen meist nicht dazu, dass Eltern oder Kinder erschöpft aufgeben. Vielmehr entsteht durch das gemeinsame Durchstehen dieser Schwierigkeiten eine noch tiefere Bindung.

Oder denken wir an Menschen, die einen inneren Ruf verspüren und zum Beispiel eine Aufgabe entdecken, die sie zutiefst erfüllt. Sie haben oft eine fast unerschöpfliche Bereitschaft, sich in diese Aufgabe hineinzugeben und ihr gerecht zu werden. Dabei nehmen sie nicht selten viele Hindernisse und Unsicherheiten in Kauf, nur um dem Ruf ihres Herzens zu folgen. Kürzlich traf ich einen Marionettenspieler, der mit seinem Spiel viele Kinder und Erwachsene verzauberte. Er erzählte mir, dass er mit 25 Jahren urplötzlich mit dem Gedanken aufgewacht ist: „Ich werde Marionettenspieler.“ Diese Vision berührte ihn so sehr, dass ab diesem Tag ein neues Leben für ihn begann.

 

Eine Kraft in vielen Gewändern

Liebe hat offensichtlich viele Facetten und kann in vielen Gewändern erscheinen. Ob sie sich in der süßen Intimität zwischen Liebenden zeigt oder im einfühlsamen Blick einer mitfühlenden Seele, ob in den leuchtenden Augen eines Kindes beim Anblick von Seifenblasen oder in der Dankbarkeit eines überfließenden Herzens; immer ist es die Liebe, die uns öffnet und uns ein Gefühl von Sinnhaftigkeit verleiht. Ohne das Leuchten der Liebe sind wir blind für die Schönheit und Kostbarkeit der Momente und unser Leben bleibt farblos und leer.

Ist es da ein Wunder, dass die schönsten Gedichte Liebesgedichte sind? Dass die meisten Lieder von der Liebe handeln und sich jeder Mensch zuinnerst nach dieser Zauberkraft sehnt?

 

Wie sich eine Staubschicht über das Herz legt

Doch die Kraft der Liebe ist keineswegs verlässlich. Wie wir wissen, endet statistisch die Phase der Verliebtheit zwischen Paaren meist nach 6-24 Monaten. Und auch die erste zärtliche Liebe, die Eltern zu ihren neugeborenen Kindern empfinden, kann bereits nach wenigen Monaten oder Jahren vom alltäglichen Klein-Klein des Sich-Kümmerns überdeckt werden. Irgendwann schauen wir als Eltern nur noch darauf, ob unsere Kinder die Hausaufgaben ordentlich gemacht haben und können das Wunder, das unser Herz zu Beginn ihres Lebens ergriffen hat, nicht mehr in ihnen sehen. Welch ein Verlust!

So erfüllend die Liebe in ihren verschiedenen Gewändern auch sein kann, so sehr kann sie uns auch abhandenkommen. Manchmal scheint sie wie unter einer dicken Staubschicht unerreichbar verborgen. Leider lässt sich dieser innere Staub nicht wie beim äußeren Hausputz einfach wegpusten. Wir müssen ihn mit Achtsamkeit betrachten, um unser Herz wieder freizulegen.

 

Staubschichten und ihre Ursachen

Woher kommt der viele Staub, der sich dick und schwer auf unser Herz legen kann und dann so trennend wirkt? Nun, einerseits besteht er sicherlich aus dem Schleier der Gewohnheit. Jede Musik, die wir lieben und die unser Herz öffnet, hat nur eine gewisse Zeit die Macht, unsere Liebe in Schwingung zu versetzen. Wenn wir sie jedoch ständig anhören, verliert der Zauber seine Wirkkraft. So ist es leider auch mit den nahen Menschen, die wir lieben. Da sie uns ständig umgeben, sehen und fühlen wir sie nicht mehr unmittelbar, sondern oft nur noch durch den Filter der Selbstverständlichkeit.

Doch nicht nur die Gewohnheit verschließt unsere Empfindungsfähigkeit. Nicht selten gibt es auch in uns Mechanismen, wie wir unser Herz vor Verletzung schützen. Diese legen sich wie ein unsichtbarer Schutzpanzer über unsere Liebesfähigkeit. Denn zu lieben bedeutet, offen und ungeschützt zu sein, also unser Innerstes nach außen zu tragen. Damit verbinden aber nicht wenige Menschen schmerzhafte oder beschämende Erfahrungen. So kann es Ängste erzeugen, sich mit der eigenen Liebe offen zu zeigen. Da ist es nicht verwunderlich, wenn wir Vermeidungsstrategien ausbilden, die uns dann besetzen. Wir schützen unser Herz, um nicht mehr verletzlich zu sein, verlieren aber gleichzeitig den unmittelbaren Zugang zu unserer Liebesfähigkeit.

 

Vom inneren Hausputz

Natürlich kann es noch andere Gründe geben, die unser Potential zu liebender Bezugnahme verschließen. Doch was auch immer sich über unser Herz gelegt hat, es wartet in der Tiefe unserer Seele darauf, sich wieder in unserem Leben zu entfalten. So kann ein plötzliches Ereignis, das uns tief berührt, wie ein Windstoß die Staubschichten, die uns für unser Herz taub gemacht haben, wegpusten. Daher sind alle Momente, die uns tiefer berühren unendlich kostbar. Wenn wir nicht achtlos und geschäftig daran vorbeigehen, sondern uns die Zeit nehmen, der Berührung in uns Raum zu geben und darin einzutauchen, öffnet sich wie von selbst unser Herz.

Wir sind jedoch nicht verdammt, darauf zu warten, dass uns zufällig etwas tiefer erreicht und öffnet. Wir haben auch die Möglichkeit, einen inneren Hausputz durchzuführen und die Staubschichten unserer Seele bewusst in Achtsamkeit zu betrachten und dadurch unser Herz wieder freizulegen und aus der Liebe zu leben. Also, worauf warten wir?

 

ÜBUNG: Ein innerer Hausputz

  • Reflektiere: Wie bist du zurzeit mit deinem Herzen in Kontakt? Kannst du die Schönheit und Kostbarkeit des Lebens und der Menschen um dich herum unmittelbar wahrnehmen? Erreicht dich das Leiden anderer? Bist du dankbar für die vielen kleinen Dinge, die dein Leben möglich machen?

  • Dann frage dich: Was lässt dein Herz stumpf sein oder verschließen? Was immer bei dieser Frage an Antworten auftaucht, gestatte es dir!

  • Nimm das Wichtigste, das aufgetaucht ist, und erforsche das seelische Erleben darin:
    • Lass ein phantasievolles Bild dazu auftauchen. Was genau in dem Bild drückt das Verschließen aus?
    • Wechsle jetzt die Perspektive und schlüpf in das hinein, worin sich das Verschließen ausdrückt und fühle, wie sich das von innen her anfühlt:
    • Welche Empfindungen breiten sich aus?
    • Lass dazu einen körperlichen Gestaltausdruck auftauchen und nimm ihn ein.
    • Lass dir Zeit, alles was hier im Erleben auftaucht, wahrzunehmen und auszudrücken…
  • Frage dich jetzt: Nach was sehnst du dich hier eigentlich? Nach was immer du dich hier sehnst, gestatte dir diese Sehnsucht, auch wenn sie scheinbar nicht erfüllbar ist. Sie ist das Tor!

  • Dann stell dir so konkret wie möglich vor, dass sich diese Sehnsucht erfüllt und fühle im Körper und Seele, was sich dann innerlich ausbreitet…
    Lass dir dabei Zeit, die neue Qualität, die sich jetzt ausbreitet, zu verkosten und tiefer zu fühlen.

  • Spür jetzt: Wie lebst du, wenn diese neue Qualität in dir lebendig ist? Wie ist dann dein Zugang zur Liebe, zum Mitgefühl oder zur Dankbarkeit?