Achtsames Leben - Heilung - das große Versprechen

Gibt es nicht unzählige Methoden und Wege, die uns alle auf die eine oder andere Weise Heilung versprechen? Manche setzen am Körper an, andere im seelischen Bereich und wieder andere betreffen die geistige oder spirituelle Ebene – aber immer liegt die große Verheißung von Heilung in der Luft, die uns lockt. Hand aufs Herz: Wie viele Wege haben wir selbst bereits beschritten und wie viele Methoden ausprobiert?

Warum müssen wir so viele Wege gehen und so vieles ausprobieren, wenn doch jede Methode angeblich zur Heilung führt? Müssten wir da nicht längst angekommen sein – im Heil? Oder haben wir da vielleicht etwas missverstanden?

 

Leben ist Leiden

Der erste Grundsatz der vier edlen Wahrheiten in der buddhistischen Lehre lautet: „Leben ist Leiden.“ Das ist der Ausgangspunkt für die Lehre Buddhas und der Motor unserer Suche nach dem Heil. Wenn wir mit wachen Augen das Leben betrachten, müssen wir anerkennen, dass es in allen Bereichen unserer menschlichen Existenz eine grundlegende Verletzlichkeit gibt.

Äußerlich kommt es zeitlebens zu schmerzhaften Konflikten – sowohl in persönlichen Beziehungen als auch zwischen den Völkern. Genauso erfahren wir immer wieder Verluste, die uns zutiefst erschüttern. Auch unser Körper ist alles andere als verlässlich. Krankheiten, körperliche Einschränkungen und Gebrechen tauchen immer wieder auf und erinnern uns daran, dass der Körper eines Tages vergehen wird.

Und auf der seelischen Ebene? Unsere Seele reagiert hochsensibel auf jeden Einfluss, der von außen kommt. Alles färbt unsere Stimmung ein. Entsprechend können uns Entwertungen, Beschämungen und Missachtungen zutiefst treffen. Können wir diese grundlegende Verletzlichkeit unseres Menschseins mit all unserer Achtsamkeit verhindern?

 

Mit unserer menschlichen Natur Frieden schließen

Offensichtlich können wir die fundamentale Unsicherheit, die alle Bereiche unseres menschlichen Lebens durchzieht, nicht abstellen und nicht wirklich ändern. Sie wird uns bis zu unserem letzten Tag hier auf Erden begleiten. Das bedeutet, dass es nicht darum gehen kann, einen wie auch immer gearteten statischen Heilszustand – wie ein Paradies auf Erden – anzustreben, sondern anzuerkennen, dass wir als Menschen zutiefst bedingt und zerbrechlich sind.

Mit den Jahren habe ich ein neues Glück entdeckt.
Es besteht darin, im Einklang zu sein mit den Lebensgesetzen.

Ruth Rau

Wenn wir unsere verletzliche und bedingte Natur in der Tiefe zu uns nehmen, müssen wir auch die kleinen und großen Schläge, die wir zeitlebens erfahren, nicht mehr persönlich nehmen, was zu einer tiefgreifenden Entspannung führt. Wir brauchen uns nicht mehr für unsere Schwächen schämen. Das Leben ist nicht böse mit uns, wenn wir krank werden und es will uns auch keine Lektion verpassen. Außer vielleicht, dass wir lernen, mit unserer Kleinheit und Zerbrechlichkeit als Mensch Frieden zu schließen.

 

Die große Frucht des Mitgefühls

Wenn wir unsere Bedingtheit als Mensch anerkennen, hat das nicht nur zur Folge, dass etwas in uns zur Ruhe kommt und wir demütiger werden, sondern, dass wir in all unseren körperlichen und seelischen Wunden einen verborgenen Schatz entdecken: die große menschliche Gabe des Mitgefühls. Mitgefühl erwächst dort, wo wir das Leiden in uns und in der Welt anerkennen und unser Herz dafür öffnen.

Solange wir die Bedingtheit unseres Lebens ablehnen und der Idee eines paradiesischen Zustandes nachhängen, wird sich unser Mitgefühl und unsere Güte nicht entfalten, denn im Paradies brauchen wir kein Mitgefühl. Wir sind dann oft ungnädig, wenn wir selbst oder andere Menschen schwach oder in Leidensmuster verstrickt sehen. Aber ist diese Härte gegenüber allem Schwachen nicht eine erneute Verletzung? Nur mit echter Anteilnahme und mitfühlendem Verständnis werden wir Menschen in ihrer Schwäche gerecht. Nur wenn wir deren Not annehmen, können wir ihnen innerlich nahekommen und beistehen.

 

Der Ort, an dem wir heil sind

Sind dann alle Heilungsmethoden überflüssig? Natürlich nicht. Wenn wir mitfühlend anerkennen, dass unsere menschliche Natur zutiefst bedingt und zerbrechlich ist, dann wird es zu einer natürlichen und grundlegenden Aufgabe unseres Lebens, dass wir uns selbst und unser Umfeld immer wieder neu ausbalancieren. Alle Wege und Heilungsmethoden können uns dabei unterstützen. Wir sollten uns nur nicht der Illusion hingeben, dass wir dadurch einen dauerhaften Heilszustand erreichen könnten.

Das gilt auch für den Ort in uns, an dem wir zuinnerst immer heil sind – der unbedingte und grenzenlose Raum des Gewahrseins. Ja, es gibt diese spirituelle Dimension am Grund unserer Seele. Dort lebt trotz all unserer Wunden und Bedingtheiten etwas Unbedingtes, das jenseits vom Auf und Ab des Lebens und jenseits von Werden und Vergehen existiert – in sich vollständig und vollkommen heil. Wir können zu diesem „Ort“ einen Zugang bekommen und dort sogar heimisch werden. Aber – wir können auch hier nicht dauerhaft verweilen.

 

ÜBUNG: Der Ort, an dem wir heil sind

  • Auf der seelischen Ebene haben wir ein tiefes Grundwissen darüber, wie es sich anfühlt, wenn wir innerlich heil sind. Diesen inneren „Ort“ können wir bewusst aufsuchen und erfahren. Das erlöst uns nicht aus unserer menschlichen Bedingtheit, aber wir können uns dadurch immer wieder neu ausbalancieren und einen Ort des Friedens in uns nähren.

  • Entspann dich zunächst. Dann atme mehrmals tief ein und aus – und spüre die vitale Lebenskraft, die sich durch diese Atemzüge im ganzen Körper ausbreitet.

  • Mach dir jetzt bewusst, dass es in deiner Seele ein tiefes Wissen davon gibt, wie es sich anfühlt, wenn du heil bist.

  • Was breitet sich im Körper aus, wenn du dich zutiefst heil fühlst? Wo und wie im Körper kannst du das spüren?

  • Was breitet sich in der Seele aus, wenn du dich zutiefst heil fühlst? Welche Gefühle tauchen auf? Lass dir Zeit, dich hier einzufühlen…

  • Lass jetzt zu diesem Erleben von Heilsein ein inneres phantasievolles Bild auftauchen und betrachte es in aller Ruhe. Was vermittelt dir dieses Bild? Was ist das wichtigste Element in diesem Bild?

  • Schlüpf jetzt in das wichtigste Element des Bildes hinein und erfahre dich selbst als dieses Element von innen her. Was breitet sich hier im Erleben aus?

  • Lass es ganzkörperlich werden und mach dazu eine Gebärde oder Bewegung. Welche Qualität offenbart sich hier? Und wie erfährst du es, wenn sich diese Qualität in deiner Ganzheit ausbreitet?