Achtsames Leben - Ein neues Jahr beginnt

Unberührt und voller Versprechen liegt ein neues Jahr vor uns - wie eine Landschaft, die von Neuschnee bedeckt ist und auf deren glitzernder Oberfläche noch keine Spuren sichtbar sind. Vermittelt dies nicht einen ungeheuren Zauber? Fast andächtig setzen wir die ersten Schritte in das frische Weiß. Ein Schritt und noch ein Schritt. Es entsteht die erste Spur – die erste sichtbare Gestalt – in der Weite und Offenheit der Landschaft.

Noch wissen wir nicht, was uns dieses Jahr bringen wird – welche Freuden und welche Herausforderungen uns erwarten werden. Doch nicht nur die äußeren Umstände und Ereignisse werden das neue Jahr prägen. Entscheidend wird auch sein, welche Wege wir einschlagen und wie wir dabei unsere Schritte setzen.

 

Wir sind nicht ausgeliefert

Manchmal kann man schon den Eindruck haben, dass wir den Geschehnissen des Lebens ausgeliefert sind. Sind unsere Möglichkeiten nicht sehr begrenzt? Sind unsere Willenskraft und unser Handlungsspielraum nicht sehr klein? Oder anders gefragt: Sind wir selbst nicht wirklich sehr winzig im großen Rad des Lebens? Ja, das sind wir. Und es ist weise, das anzuerkennen.

Und doch sind wir keineswegs ausgeliefert. Denn wie wir Situationen erfahren, hat nicht nur mit den realen Umständen zu tun, sondern vor allen Dingen damit, mit welcher inneren Haltung wir den jeweiligen Ereignissen gegenübertreten. Auch ist es nicht vorherbestimmt, wie sich Situationen weiterentwickeln, sondern abhängig davon, wie wir uns darauf beziehen. Daher heißt es in China:

Nicht der Wind, sondern das Segel bestimmt die Richtung.

Chinesisches Sprichwort

 

Warum ein spiritueller Weg bedeutsam ist

Wenn aber nicht die äußeren Umstände, sondern unsere innere Haltung die Richtung unseres Lebens bestimmt, dann wird offensichtlich, wie wesentlich ein innerer Weg ist, der uns darin unterstützt, uns in der Tiefe unserer Seele zu verankern. Denn nur dann werden wir nicht von den unberechenbaren Winden des Lebens hin- und hergeworfen, sondern können den Ereignissen mit Präsenz, mit Annahme und Offenheit begegnen. Und nur dann kann jede Situation – eine erfüllende genauso wie eine schwierige – ihr innewohnendes Potential entfalten. Haben wir nicht alle schon erfahren, dass gerade die Krisen unseres Lebens eine Tiefe und Intensität enthalten, die wir in guten Zeiten manchmal vermissen?

Wir können an allen Ereignissen reifen und uns entfalten. Das kann aber nur geschehen, wenn wir uns nicht gegen Unerwünschtes verschließen und dagegen ankämpfen, sondern uns in der Tiefe mit unserer grundlegenden Offenheit verbinden und von hier aus den äußeren Ereignissen begegnen und unsere Antworten darauf entdecken. Genau das unterstützt ein spiritueller Weg. Insofern ist es alles andere als eine Luxusbeschäftigung, wenn wir zum Beispiel in Tagen der Stille bewusst nach innen gehen und zeitweilig die äußere Welt hinter uns lassen.

 

Wie nachhaltig ist der innere Weg?

Jedoch ist der innere Hausputz genauso wenig dauerhaft anhaltend wie der äußere. Kaum haben wir abgespült, wird das Geschirr wieder benutzt. Und eine aufgeräumte Wohnung verliert schnell wieder an Ordnung. Genauso müssen wir feststellen, dass auch Momente von innerer Offenheit und liebevoller Annahme, die wir in Tagen der Achtsamkeit kultivieren, im Alltagsgetriebe schneller weichen, als uns lieb ist. Ist also der spirituelle Weg nachhaltig?

Wenn wir betrachten, ob die Offenheit, die sich durch eine Praxisform wie das innere Erforschen eingestellt hat, andauert, müssen wir die Frage leider verneinen. Sie wird uns immer nur eine gewisse Zeit – für die nächsten Schritte – zur Verfügung stehen und sich dann wieder abschwächen. Aber ist das bei der Körperpflege nicht auch so? Ist zum Beispiel Zähneputzen etwa nicht nachhaltig, nur weil die Zähne gleich wieder beim nächsten Essen benutzt werden? Niemand würde auf die Idee kommen, Körperpflege wie das Zähneputzen als nicht nachhaltig zu deklarieren.

 

Im Einklang

Die Körperpflege ist ein natürlicher Bestandteil unseres Lebens und wir widmen ihr viel Zeit. Und natürlich ist es eine gut investierte Zeit, da es uns dauerhaft hilft, unseren Körper gesund zu halten. Doch wie wenig selbstverständlich ist es in unserer Kultur, der Seele genauso regelmäßig die gleiche Aufmerksamkeit zukommen zu lassen. Dabei ist uns die Seele – unser fühlendes Wesen – eigentlich noch näher als der Körper.

Nachhaltigkeit bedeutet nicht, dass eine Handlung für immer und ewig anhält, sondern dass wir uns bei jedem Schritt darum kümmern, dass die Handlung im Einklang mit dem größeren Ganzen steht: Sind wir jetzt im Einklang mit unserer Seele und mit unserem Körper? Handeln wir im Einklang mit den äußeren Umständen? Oder braucht es erst eine bewusste Zeit, uns innerlich zu verbinden und wieder in Einklang zu kommen?

Noch wissen wir nicht, was uns dieses Jahr begegnen wird. Wie wichtig ist es da, uns bereitzumachen dafür und regelmäßig innerlich die grundlegende Offenheit aufzusuchen, die in der Tiefe unserer Seele immer auf uns wartet.

Ich wünsche allen Leserinnen und Lesern ein friedliches und erfülltes neues Jahr!

 

ÜBUNG: Die Verbindung nach innen nähren

  • Wie erfährst du Momente, in denen du tief mit deiner Seele verbunden bist? Lass dazu einen Gestaltausdruck oder ein Bild auftauchen und schlüpfe in den Gestaltausdruck oder das Bild hinein.

  • 
Fühle von innen her, welche Qualität sich dann in dir ausbreitet.

  • Wenn diese Qualität im Zentrum deines Lebens steht, wie kannst du dich dann auf die Herausforderungen des Lebens beziehen?

  • Reflektiere: Was lässt die Verbindung nach innen schwächer werden oder was deckt sie zu?

  • Welche Praxisformen, welche Orte und welche Begegnungen unterstützen dich dabei, dich innerlich an Offenheit und Annahme anzubinden? Oder anders formuliert: Wie kannst du die Verbindung nach innen nähren?